Bürokratisches Handeln der EU erwünscht: Zum Beispiel von „Ahle Wurst“-Herstellern, die Gebietsschutz für ihr Produkt ersehnen.
Europa wächst zusammen, Grenzen bleiben dennoch bestehen. Lebensmittelproduzenten sind froh darüber, beklagen es aber auch: immer dann, wenn sie sich in ihrer unternehmerischen Freiheit beschränkt sehen. Und die Kunden? Von der Spreewälder Gurke bis zum Kulmbacher Bier genießen regionale Spezialitäten oft hohes Ansehen bei ihnen, weshalb die Hersteller oder in ihrem Namen die Verantwortlichen in Ländern und Orten versuchen, Herkunftsbezeichnungen zu reservieren. Auswärtige Mitbewerber sehen das nicht gern und verweisen gemeinhin darauf, dass der umstrittene Name eine Produktgattung und nicht Herkunft definiere. Das gilt beispielsweise für ,,Krakauer Wurst“, die zum Sortiment jeder deutschen Fleischerei gehört und die in Krakau nie produziert wurde. Aber das gilt nicht für den „Schwarzwälder Schinken“, der sich diesen Namen mit der Herstellung im Schwarzwald verdienen muss. Ob ein Produktname wie „Nordhäuser Korn“ den Herstellern am Ort vorbehalten bleibt, hängt nicht allein von der Verbrauchererwartung ab. Entscheidend ist, ob die Hüter des Namens rechtzeitig das Schutzverfahren in Gang gesetzt haben. Den Ziegenkäsespezialisten in Altenburg war das geglückt, die Gebietsbezeichnung im Namen ist den Camemberts aus der Region in Ostthüringen vorbehalten. Die Kollegen in der Normandie hatten den richtigen Zeitpunkt verpasst, ihr Brie gilt als Gattungsbezeichnung und kann auch in den Alpen oder auf Rügen produziert werden. Ersatzweise wurde als geschützte geographische Angabe (g.g.A.) dann „Brie de Meaux“ und „Brie de Melun“ eingetragen.
In Hessen sind die Lebensmittelhersteller umzingelt von Schutzzäunen. Im Süden wurde die Nürnberger Rostbratwurst geschützt, obwohl jahrzehntelang solche Ware, mit Majoran gewürzt und abgefüllt in schmalen Schweinedarm, auch aus hiesiger Produktion zu haben war. Im Osten haben sich die Thüringer den Hinweis auf ihr Land nicht nur für die Rostbratwurst als geschützte geographische Angabe eintragen lassen, sondern auch für Rot- und Leberwurst und für Greußener Salami. Für Eichsfelder Salami läuft das Antragsverfahren. Verbunden mit der Bezeichnung „g.g.A.“ sind große wirtschaftliche Vorteile. So liegt der durchschnittliche Preis des geschützten Tiroler Specks um rund zehn Prozent über dem vergleichbarer Produkte. Die Thüringer Hersteller haben, seitdem der Schutz ihrer Lieblingswürste 2003 Rechtskraft erlangte, allein die Produktion von Bratwurst von 15000 auf 33000 Tonnen 2006 mehr als verdoppelt. Zudem wird die Vergabe öffentlicher Wirtschaftsförderung immer öfter vom europäischen Namensschutz abhängig gemacht – neben der „geschützten geographischen Angabe“ gibt es die geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.) für alle Produktionsstufen in der Ursprungsregion sowie die „garantiert traditionelle Spezialität“ (g.t.S.), die für traditionelle Rohstoffe, Zusammensetzung oder traditionelle Herstellung steht.
Um die Schutzwürdigkeit landestypisch hessischer Produkte haben sich bislang nur wenige gekümmert. Eine geschützte geographische Angabe ist bis heute allein für den Odenwälder Frühstückskäse eingetragen. Die Frankfurter Würstchen genießen (auf das Gebiet der Industrie- und Handelskammer Frankfurt beschränkten) Namensschutz als privatwirtschaftlich eingetragene Marke. Sonst gibt es bislang weder für grüne Soße noch für den Frankfurter Kranz Herkunftsschutz. Beim Kauf von Frankfurter Rinds- und Fleischwurst verlässt man sich eben darauf, dass der Metzger sie selbst frisch hergestellt hat, Garantien gibt es keine. Erst für Handkäse und Apfelwein mit dem Zusatz „hessisch“ hat das Deutsche Patent- und Markenamt jetzt Schutzanträge angenommen.
Als eine der bekanntesten Spezialitäten des Landes gilt die nordhessische „Ahle Wurst“. Von der Feinschmeckerbewegung Slow Food ist sie in der „Arche“ der schützenswerten Lebensmittel aufgenommen worden. Nicht dass es an Herstellern und Abnehmern für diese Rohwurst fehlte, deren Geschichte „in der Tradition bäuerlicher Selbstversorgung wurzelt“, wie es bei Slow Food heißt. Bedroht ist vielmehr das tradierte Herstellungsverfahren, auch die richtigen Schweine stehen nach dem Aussterben des hessischen Landschweins nicht überall zur Verfügung: Die Tiere sollen nicht auf hohe Magerfleischausbeute getrimmt und sie sollen langsam und mit mindestens 60 Prozent hofeigenem Getreide ausgemästet sein. Für das im 16. Jahrhundert als „rothe Wurst“ erstmals bekanntgewordene Produkt soll das ganze Schwein von der Lende bis zum Rüssel verarbeitet werden. Zur Tradition gehört auch die schlachtwarme oder wenigstens schlachtfrische Verarbeitung drei, höchstens 24 Stunden nach dem Tod des Tiers.
Der Sicherstellung solcher Prinzipien hat sich der von Slow Food vor drei Jahren ins Leben gerufene „Förderverein nordhessische Ahle Wurscht“ angenommen, der sich „als Lobby für Geschmack und Qualität“ versteht. Produzenten gehören ihm an, Slow Food, fördernde Mitglieder sind willkommen. Die Wurst-Förderer und die Marketinggesellschaft Gutes aus Hessen haben bei der EU den Antrag auf Herkunftsschutz gestellt. Geht es nach ihnen, wäre die Herstellung des Schweinefleisch-Produkts auf die Kreise Kassel Stadt und Land, Hersfeld-Rothenburg, Schwalm-Eder, Werra-Meißner und Waldeck-Frankenberg begrenzt. Mit der Herkunftsmarke verbunden würden dann auch Produktionsvorgaben und Qualitätsmerkmale.
Für die echte „Ahle Wurst“ verboten ist der Einsatz von Starterkulturen, sind Geschmacksverstärker und Stabilisatoren. Statt Pökelsalz wird allein Salinen- beziehungsweise Kochsalz akzeptiert. Gewürzt wird mit Pfeffer, Piment, Koriander, Salpeter, Knoblauch, Senfsaaten und Haushaltszucker; regional variiert wird mit Kümmel, Muskat, Nelke, Rum oder Weinbrand. Die schlachtwarme Verarbeitung wird sich dagegen kaum festschreiben lassen, da es vielerorts keine Schlachtstätten mehr gibt. Abgefüllt in Kranz- und Fettdärme der in geklebte Schweinedärme, reift die Wurst drei bis neun Monate bei Temperaturen zwischen zehn und 15 Grad: Die Metzger nutzen dafür vorzugsweise Reiferäume aus Lehm, manche behandeln ihre Spezialität zusätzlich mit Kaltrauch. Einst war die Reifung auf die kühlen Monate („R“-Monate) beschränkt, heute kann mit kühltechnischer Unterstützung die „Ahle“ zu jeder Jahreszeit gedeihen. Eine Reihe von Herstellern übrigens hat sich schon dem Herkunftsschutzreglement freiwillig unterworfen, wird jedes Jahr zertifiziert und teilt das den Abnehmern mit einem Siegel mit, das auf die traditionelle Produktion verweist.
Die „Ahle“ mit ihrer mürben Konsistenz und dem dezent gewürzten Fleischaroma ist für ihre Fans ein echtes Kulturgut. Und Fleischermeister Thomas Koch zum Beispiel stellt sie nicht nur her, sondern hat ihr in Calden bei Kassel auch ein kleines Museum eingerichtet. „Vom Schwein zur Wurst“ heißt die Ausstellung darin, bei der Fleischverarbeitung wie im Mittelalter gezeigt wird.
Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung 11.11.2007