Fleischermeisterin Katharina Koch über Traditionalisten und Verrückte am Grill

Katharina Koch hat Politikwissenschaft studiert, kennt sich also bestens aus mit Aristoteles und Macchiavelli. Doch 2018 übernahm sie die elterliche Landmetzgerei im nordhessischen Calden. Die 35-Jährige Fleischermeisterin mit einem Abschluss in Politikwissenschaft will das traditionelle Gewerbe zukunftsfähig machen. Ihr Rezept: das klassische Handwerk, den Betrieb führt sie in 5. Generation, mit Innovation verbinden. Der Erfolg gibt ihr Recht. Im Interview mit Matthias M. Machan spricht sie über Traditionalisten und Verrückte am Grill, das Revival des Fleischerhandwerks, wie man Fleisch besonders zart und saftig grillt und wer an einem Grillabend ihre liebsten Gäste sind.

Sie haben vor drei Jahren den Traditionsbetrieb Ihrer Eltern übernommen. Eine Fleischermeisterin kann man vermutlich wie die Nadel im Heuhaufen suchen. Eine Fleischermeisterin, die zudem Politikwissenschaft studiert hat, ist vermutlich ein Unikat …

Das Berufsbild des Fleischers hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt und mit ihm auch die Menschen, die im Fleischerhandwerk arbeiten. Trotzdem kommen auch heute noch nur zehn Fleischermeisterinnen auf hundert Fleischermeister. Auch in unserer Familie war es selbstverständlich, dass einer der beiden Söhne und eben nicht ich als jüngste Tochter die Nachfolge antreten sollte. Deshalb habe ich mich zunächst ganz anders orientiert, denn die Übernahme des Familienbetriebs war ja keine Option für mich. Als sich meine Brüder schließlich gegen die Nachfolge entschieden haben, kam doch alles anders.

Politikwissenschaft als Beruf, aber Fleischermeisterin als Berufung? War das eine jeweils der Plan-B des anderen?

So würde ich es nicht beschreiben. Die Politik hat mich bis heute nicht losgelassen. So bin ich auf lokaler Ebene nach wie vor ehrenamtlich aktiv. Darüber hinaus darf ich als Mitglied im Mittelstandsbeirat unseren Bundeswirtschaftsminister beraten. Genauso hat mich aber auch das Fleischerhandwerk immer begleitet. Auch während des Studiums habe ich immer im Familienbetrieb ausgeholfen und mich viel mit den Themen Handwerk, Ernährung und Landwirtschaft beschäftigt. Ich bin also weiterhin beiden Welten verbunden, habe mich aber für eine in Vollzeit entschieden.

Spielen Aristoteles oder Machiavelli in ihren heutigen Leben noch eine Rolle oder konzentriert sich alles auf Steak und Sülze, Aufschnitt und Bratwurst?

Wir waren schon immer eine politisch interessierte Familie. Über Gesellschaft und Politik haben wir uns sehr viel mit unseren Eltern unterhalten. Die Wahl meiner Studienfächer ist sicher davon beeinflusst. Ebenso die Art, wie ich über unser Unternehmen, das Fleischerhandwerk oder Ernährung im Allgemeinen denke, die ja zunehmend politisiert und oft leider auch ideologisiert wird. Ich finde, dass wir als kleine Lebensmittelunternehmen gerade im ländlichen Raum eine Aufgabe erfüllen, die über den Verkauf von Wurst und Fleisch hinausgeht. Wir verbinden zum Beispiel die kleinen Landwirte mit den Menschen vor Ort, schaffen Arbeits- und Ausbildungsplätze und erhalten regionale Wertschöpfungsketten. In vielen Fällen halten die kleinen Metzger und -bäcker die Dorfgemeinschaft am Leben. Auch wenn das Online-Geschäft sicherlich stetig wachsen wird: Die Funktion unseres Landegeschäftes als Nahversorger möchte ich nicht aufgeben.

Was gab letztlich den Ausschlag, den elterlichen Betrieb in 5. Generation zu übernehmen?

Es war eine Entscheidung, mit der ich mich sehr intensiv beschäftigt habe. Ich hatte schon erste Berufserfahrung gesammelt, als mich mein Vater auf das Thema angesprochen hat. Danach hat mich der Gedanke einfach nicht mehr losgelassen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass ich lieber Unternehmerin mit eigenem Betrieb sein wollte als Angestellte in einer großen Organisation.

Gab es Momente, in der Sie diese Entscheidung bereut haben?

Nein. Auch wenn ich hin und wieder gefragt werde, ob mein Leben in einem anderen Beruf nicht vielleicht einfacher oder bequemer wäre, kann ich immer nur antworten, dass es gerade die täglichen, sehr abwechslungsreichen Herausforderungen und die spannende Verbindung aus Freiheit und Verantwortung sind, die ich am Beruf der Unternehmerin so sehr schätze.

Was genau hat es mit dem „Wurstehimmel“ auf sich?

Der Wurstehimmel ist der Name unserer Reifekammern im Dachgeschoss unseres Betriebes. Dort hängen und reifen die traditionellen nordhessischen Ahlen Würste bis zu zwölf Monate lang. Man muss sich das ungefähr so vorstellen wie ein Weinkeller, nur hängen die Würste in Gestellen an der Wand oder unter der Decke – daher auch der Begriff Wurstehimmel. In unseren Reifekammern herrscht, wie in einem Weinkeller, ein besonderes Raumklima, das für die perfekte Reife nötig ist. Trotzdem brauchen die Würste, wie Wein- oder Champagnerflaschen, besondere Pflege, sie wandern im Verlauf des Reifeprozesses durch verschiedene Kammern, müssen auch regelmäßig abgewaschen werden.

Sie führen den Betrieb in 5. Generation. Wie schafft man den Spagat zwischen der Bewahrung der Tradition, insbesondere der handwerklichen Tradition und dem Blick auf das neue, das digitale Zeitalter?

Meine Zielvorstellung ist, die ganz traditionellen und bewährten Herstellungsweisen unserer Produkte weitestgehend beizubehalten und gleichzeitig das Unternehmen sowie die Prozesse zukunftsfähig zu gestalten. Seit meiner Übernahme habe ich stark in unsere digitalen Vertriebswege investiert und auch die Organisation der Abläufe im Betrieb sowie das Produktsortiment angepasst. Aber die Ahle Wurst, die handgemachte, luftgetrocknete Rohwurst, für die wir berühmt sind, stellen wir bewusst noch immer so her wie zu Zeiten meines Großvaters.

Für den Hessischen Gründerpreis waren Sie im vergangenen Jahr in der Kategorie „zukunftsfähige Nachfolge“ nominiert. Wie zukunftsfähig ist ihr Handwerk, und was macht Ihren Betrieb konkret zukunftsfähig?

Es gibt meiner Ansicht nach einen Wandel in der Gesellschaft, von dem mein Unternehmen und auch das ganze Fleischerhandwerk profitieren können. Regionalität, Nachhaltigkeit und Ressourcenschutz einerseits, hochwertige Lebensmittel und die Suche nach besonderem Genuss auf der anderen Seite sind Themen, die in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Handwerkliche Hersteller von hochwertigen Lebensmitteln haben hier, auch mit Hilfe neuer digitaler Vertriebskanäle, sehr gute Chancen, sich am Markt zu etablieren und langfristig gegen Wettbewerber aus Handel und Industrie zu behaupten.

Was ist für Sie ein gutes Stück Fleisch und wie erkenne ich als Verbraucher ein wirklich gutes Stück Fleisch?

Gute Fleischqualität zu erkennen, erfordert Erfahrung. Ein gutes Stück Fleisch kann meiner Ansicht nach nur von einem vernünftig gehaltenen und gefütterten Tier stammen. Das Tier und später sein Fleisch müssen fachkundig und mit Wertschätzung behandelt werden. Hinzu kommt ein wenig Grundlagenwissen, welche Stücke für welche Art der Zubereitung geeignet sind. Dann lässt sich aus beinahe jedem essbaren Teil vom Tier etwas Köstliches zubereiten.

Gibt es denn das perfekte Stück Fleisch vom Grill?

Am leichtesten zu grillen ist Fleisch, das leicht marmoriert ist. Wenn es dann auch ausreichend dick geschnitten ist, verzeiht so ein Steak die Minute länger auf dem Rost. Aber im Grunde genommen lässt sich beinahe jedes Teilstück mit ein wenig Übung perfekt auf dem Grill zubereiten.

Und welche Würstchen eignen sich idealerweise besonders für den Grill?

Die meisten Würstchen lassen sich auf allen Arten von Grills sehr gut zubereiten. Am besten bei mittleren Temperaturen, bei zu großer Hitze können vor allem frische grobe Bratwürste oder feine Grillwürstchen schnell platzen. Diesen Würsten sollte man auf jeden Fall eine Aufwärmphase gönnen. Aber auch mittelgrobe oder vorgebrühte Würstchen müssen nicht auf die heißeste Stelle über der Glut gelegt werden, sonst verkohlen sie schnell.

Worauf sollte der Verbraucher beim Fleisch-Einkauf generell achten? Nicht jeder hat mehr das Glück einer Metzgerei mit eigener Schlachtung im Ort…

Beim Einkauf in einem Fachgeschäft erwarte ich fachgerechte Beratung und besonderen Service. Das ist in einer Metzgerei nicht anders. Ich muss mich als Kunde wohl und wertgeschätzt fühlen. Auf meine Fragen – zum Beispiel nach der Herkunft des Fleisches bzw. der Tiere – möchte ich fundierte Antworten. Die Qualität der Produkte und die Art ihrer Präsentation muss überdurchschnittlich sein. Als normaler Kunde bin ich nicht unbedingt in der Lage, die Qualität der angebotenen Produkte nur nach ihrem Aussehen zu bewerten, also muss ich auch probieren können, wenn ich möchte. Letztendlich hängt viel vom Bauchgefühl ab, also dem Vertrauen in die Menschen, die in dem Betrieb arbeiten. Wenn es vor Ort keine Metzgerei mehr gibt, kann man online fündig werden. Viele handwerkliche Betriebe bieten mittlerweile einen Versandservice an.

Es ist die Glaubensfrage beim Grillen: Holzkohle, Gas oder Elektrogrill? Welche Vorteile hat aus Ihrer Sicht der Elektrogrill?

Für einen Elektrogrill spricht, dass er leichter zu transportieren und zu handhaben ist als ein Gas- oder Kohlegrill. Vorteile hat dieser sicherlich in Situationen, in denen man schnell und ohne großen Aufwand zum Beispiel ein paar Würstchen heiß machen möchte. Das Grillen über Holzkohle kann durchaus stimmungsvoll sein, man muss sich aber auch über den höheren Aufwand bei der Reinigung im Klaren sein. Beim Kauf eines Elektrogrills sollte man auf jeden Fall darauf achten, dass er ausreichend Hitze erzeugen kann, sodass man – gerade bei Steaks – auch ausreichend Röstaromen bekommt. Jeder Grill sollte die Möglichkeit bieten, die Temperatur zu regeln. Wenn dies möglich ist, macht es eigentlich keinen großen Unterschied wodurch die Hitze erzeugt wird.

Welches Gericht sehen Sie viel zu selten auf deutschen Grills?

Während meiner Zeit in Frankreich habe ich oft hervorragendes Geflügel vom Grill gegessen, was aber auch daran liegt, dass Geflügel in Frankreich insgesamt von höherer Qualität ist. Wobei man sagen muss, dass es auch in Deutschland exzellentes Geflügel von sehr guten Züchtern und Mästern gibt, allerdings muss man länger danach suchen. Aber wer einmal ein richtiges Hähnchen vom Grill gegessen hat, der möchte sich nicht mehr mit einem gewöhnlichen Hähnchenfilet oder Putensteak zufrieden geben.

Wie grillt man Fleisch besonders zart & saftig?

Die Fleischqualität ist ganz entscheidend, sie ist die Grundlage jedes guten Grillergebnisses. Ein einfacher Trick für Grillanfänger ist, nicht zu dünne Stücke zu grillen, denn die sind schnell durchgegart und werden dann trocken. Also statt zwei kleiner lieber ein dickes Steak grillen, das man dann quer in kleine Scheiben, also wie eine Tagliata, aufschneidet.

Was ist der größte Fehler, den man beim Grillen machen kann?

Leider noch weit verbreitet ist der Glaube, man könnte den Geschmack von Grillgut dadurch verbessern, indem man während des Grillens Bier darüber gießt. Gerade beim Holzkohlegrill entsteht dann eine Wolke aus Dampf, Fett und Asche, die das Endergebnis sicher nicht verbessert. Das Bier ist im Magen des Grillmeisters auf jeden Fall besser aufgehoben.

Apropos Fehler, man liest beides und beide Seiten beanspruchen die Weisheit für sich: Wann wird idealerweise gesalzen?

Beides geht. Ich persönlich salze hinterher, ich mag das Mundgefühl von knusprigen Salzflocken.

Auf was kommt es beim Grillen an? Technik, Thermik, Temperatur?

Wenn man dann einen Grill hat, mit dem man die Temperatur einfach und über die ganze Garzeit hinweg zuverlässig regeln kann, dann ist Grillen kein Hexenwerk. Und, wie gesagt, größere Stücke sind generell leichter zu grillen als kleine. Im Zweifel hilft auch ein Kerntemperaturfühler, um festzustellen, ob mein Stück gar ist.

Welche Beilagen gehören für Sie zum Grillen unbedingt dazu?

Leckere Salate sind für mich die ideale Ergänzung zu Steaks und Würstchen, dann eigentlich nur noch Salz, Pfeffer, Baguette und ein wenig selbstgemachte Sauce. Meiner Meinung nach sollten der Eigengeschmack des gegrillten Fleisches bzw. die Würzung der Wurst im Vordergrund stehen. Von der Verwendung extremer Soßen, Marinaden oder Rubs, bei denen der ursprüngliche Geschmack des Grillguts überdeckt wird, rate ich also ab.

Gutes Fleisch ist die Grundlage für ein gutes Grillergebnis. Was früher selbstverständlich war – qualitativ hochwertige Fleischstücke von heimischen Erzeugern und traditionellen Rassen – ist heute immer schwerer zu finden. Feiern lokale Betriebe, auch angesichts der Corona-Pandemie ein jetzt Comeback, quasi als „local hero“, authentisch und regional?

Glücklicherweise findet in diesem Bereich ein Umdenken statt. In Deutschland wird zwar nach wie vor auch sehr viel Fleisch und Wurst aus industrieller Fertigung verzehrt, aber das Fleischerhandwerk scheint tatsächlich eine Art „Revival“ zu erleben. Es gibt eine stetig wachsende Gruppe von Menschen, die sich zunehmend für die Qualität der Produkte, deren Herkunft und die Haltungsbedingungen der Tiere interessieren. Diese Bewegung hat sich durch die Corona-Pandemie tatsächlich verstärkt. Die Menschen haben mehr Zeit, sich mit ihrer Ernährung und den Anbietern vor Ort zu beschäftigen. Zudem gehen sie nicht ins Restaurant, sondern kochen mehr zu Hause und kaufen ihre Zutaten dafür häufiger im Fachgeschäft ein.

Was sind bei Ihnen die Fleisch- und Wurst-Trends im Grill-Sommer 2021?

Meine Stammkunden für Grillsachen kann man in zwei Gruppen aufteilen: Die Traditionalisten und die Grillverrückten. Bei den Traditionalisten stehen die ganz klassischen Grillartikel wie Bratwurst oder Steak hoch im Kurs. Wichtig sind vor allem die handwerkliche Qualität und der traditionelle Zuschnitt. Unsere Grillkoteletts haben zum Beispiel einen schönen Speckrand mit Schwarte, so wie früher bei den Großeltern. Die Grillverrückten sind experimentierfreudiger, sie lieben nord- und südamerikanische Steak-Cuts und ausgefallene Bratwurstsorten. Ganz allgemein stelle ich fest, dass bei meinen Kunden das Qualitätsbewusstsein steigt, sie kommen gezielt zu uns, weil sie handwerkliche Produkte und besonderes Fleisch von regionalen Bauernhöfen haben möchten.

Was grillen Sie für sich privat am liebsten und warum?

Mein Lieblingsstück ist Côte de Boeuf, also Rinderkotelett am Knochen. Das isst man am besten zu zweit, in feine Scheiben geschnitten. Meine bevorzugten Beilagen dazu sind ganz klassisch selbstgemachte Sauce Béarnaise und französische Pommes Julienne.

Welche Gäste sind Ihnen bei einem Grillabend am liebsten?

Mein Partner und ich grillen gerne zu zweit und machen uns dann einen schönen Abend auf der Terrasse. Nicht zuletzt ist Grillen ja auch eine schöne und unkomplizierte Abwechslung zum täglichen Kochen. Aber am liebsten haben wir zum Grillen auch ein paar Freunde dabei. Die bringen Wein, Salate und Desserts mit und wir sitzen dann oft lange draußen, essen, trinken, reden und haben eine gute Zeit zusammen. Das ist doch der Ursprung des Grillens, das gemeinsame Sitzen um die Feuerstelle!

 

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