Ahle Wurst wird auch Ahle Wurscht genannt

Ein Stück Nordhessen: Ahle Wurst auch Ahle Wurscht oder Ahle Worschd genannt

Jeder Nordhesse, der sich außerhalb seiner Heimat aufhält, freut sich über ein Paket mit Ahler Wurscht. Und weil er seine Freude gerne teilen möchte, bringt er die Ahle auch gerne mit zu Freunden. Dort, am Esstisch in fernen Städten oder Ländern, spielt sich dann oft diese Szene ab: Die nordhessische Kulturbotschafterin schneidet dicke Scheiben ihrer kostbaren Stracken herunter und reicht sie herum. Rundum herrscht Begeisterung, es wird gekaut, geseufzt und weitergekaut, bis der köstliche Bissen verschwunden ist. Dann geschieht das Unerhörte. Ein Bekannter bemerkt kennerisch und mit halbvollem Mund: „Das ist ja eine wunderbare Salami!“

Als Nordhessin bleibt mir da buchstäblich der Bissen im Halse stecken. Unsere Ahle Wurscht – eine Salami? Ich meine, nichts gegen Salami. Aber unsere Ahle ist doch viel mehr als das. Nur, wie bringt man in solcher Runde diese Botschaft an den Mann oder die Frau? Man will ja nicht besserwisserisch oder belehrend wirken. In der Heimat bedarf es solcher Erklärungen gar nicht – unter Nordhessen reicht ein kurzer Blick, ein knappes Nicken, schon ist alles gesagt. Wer besonders mitteilungsbedürftig ist, sagt vielleicht noch: „Die Ahle ist gut.“ Alle wissen, was gemeint ist. Aber hier? Vielleicht beginne erstmal mit einer grundsätzlichen Feststellung: „Die Ahle ist keine Salami.“

Rundum skeptische Blicke, erst auf die Ahle Wurscht, dann auf mich. Und mir bleibt in diesem Moment nichts anderes übrig, als die Geschichte der Ahlen zu erzählen. Von der Hausschlachtetradition, der Verarbeitung des noch schlachtwarmen Fleisches, den verschiedenen Formen, dem langsamen Naturreifungsprozess, dem Einfluss unseres nordhessischen Klimas, den besonderen Schweinen, den Reifekammern, den Lehmwänden. Dabei wird mir langsam aber sicher klar, dass für viele meiner Freunde und Bekannte das Essen einer Wurst zwar selbstverständlich, deren Herstellung oder besondere Herkunft aber weitgehend unbekannt sind. Dabei ist es meiner Meinung nach mit der Ahlen wie mit jedem handwerklich hergestelltem Naturprodukt, wie zum Beispiel Wein oder Käse. Je mehr ich über sie weiß, desto mehr kann ich sie wertschätzen und genießen.

„Aber was war denn jetzt der Unterschied zur Salami?“ Der Wurstkenner von eben lässt nicht locker. Wie gesagt, das fängt schon mit den Schweinen an. Nicht nur, dass die Ahle ausschließlich aus Schweinefleisch hergestellt wird – wohingegen man bei der Salami auch Rind verwendet – auch die Schweine selbst müssen groß und schwer sein. Früher sagte man, die Schweine müssen mindestens einmal die Kirmesmusik und die Weihnachtsglocken gehört haben. Nur das Fleisch und der Speck dieser über 150 Kilogramm schweren Tiere bringen Qualität und Geschmack in die Ahle. Zum Vergleich: Ein normales Mastschwein wiegt heute rund 90 Kilogramm und wird gerade sechs Monate alt.

Entscheidend ist auch, das Fleisch der frisch geschlachteten Tiere möglichst noch warm zu verarbeiten. Nur so bilden sich bei der fertigen Wurst die einzigartige Konsistenz und der Geschmack heraus. Gewürze kommen nämlich nur sparsam an die Ahle, auch darin unterscheidet sie sich von der Salami. Salz, Pfeffer, vielleicht etwas Knoblauch, ein wenig Salpeter, das war es im Prinzip. In einigen Regionen Nordhessens kommen noch Kümmel, Senfkörner oder Muskat dazu, gern gesehen wird auch ein kräftiger Schuss Rum zur Abrundung.

Dann aber folgt die lange Phase der Reifung, die unsere Ahle endgültig von der schnöden Salami unterscheidet. An unserer kühlen und feuchten Luft trocknet und reift die Ahle langsam in Lehmkammern, die als natürliche Klimaanlagen dafür sorgen, dass es den Würsten nie zu heiß, zu trocken oder zu feucht wird. Dieser Reifeprozess, der je nach Größe und Form der Ahlen unterschiedlich lange dauert, ist auch für den einzigartigen Geschmack und die Konsistenz jeder Wurst verantwortlich. Denn obwohl die Dürre Runde und die große Stracke mit demselben Brät gefüllt wurden, schmecken sie grundverschieden.

Wie gesagt, nichts gegen die Salami. Aber unsere Ahle ist schon eine ganz besondere Wurst.

von Katharina Koch, erschienen am 22.12.2016 auf hna7.de